Brisante Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 09.11.2021 – 4 C 1.20) zur Vorkaufsrechtspraxis der Kommunen in Gebieten einer sozialen Erhaltungssatzung – Vorkaufsrecht dient nicht der Verhinderung erhaltungswidriger Nutzungsabsichten

Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht liegt die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BauGB für ein Wohngrundstück im Geltungsbereich einer sozialen Erhaltungsverordnung gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB zugrunde. Die Vorinstanzen nahmen noch an, dass eine Vorkaufsrechts-ausübung durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sei. Überwiegende Vorteile der Allgemeinheit lägen bereits dann vor, wenn erhaltungswidrige Entwicklungen zu befürchten sind, die der Käufer voraussichtlich beabsichtigt.

Einen Ausschluss der Vorkaufsrechtsausübung nach § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB sahen die Vorinstanzen nicht, da die künftig zu erwartende Nutzung des Grundstücks durch den Käufer den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme (hier der Erhaltungssatzung) entgegenstünde.

Eine derart umfassende und weitgehende Rechtfertigungsmöglichkeit einer Vorkaufsrechtsausübung und enges Verständnis der Ausschlussgründe stand im Einklang mit der eher großzügigen Vorkaufsrechtspraxis in Berlin, aber wohl auch in anderen Städten und Gemeinden.

Dem trat das Bundesverwaltungsgericht jedoch in vorbenannter Entscheidung entgegen und schob der exzessiven Ausübungspraxis von gemeindlichen Vorkaufsrechten einen Riegel vor.

Nach dem Bundesverwaltungsgericht sind für den Ausschlussgrund gem. § 26 Nr. 4 BauGB die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Behördenentscheidung über die Vorkaufsrechtsausübung maßgeblich. Mögliche künftige Entwicklungen sind nicht relevant. Dies ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut (Präsens). Eine zukunftsgerichtete Betrachtung kann weder aus dem Sinn und Zweck der dem Vorkaufsrecht zugrundeliegenden Erhaltungssatzung, noch aus einem systematischen Zusammenhang abgeleitet werden.

Die Entscheidung bringt zudem – zumindest für erhaltungsrechtliche Vorkaufsrechtsfälle – etwas Licht ins Dunkel der Auslegung und des Verständnisses des Ausschlusstatbestands § 26 Nr. 4 BauGB. Obwohl der Wortlaut des § 26 Nr. 4 BauGB („oder“) grundsätzlich auf ein (uneingeschränktes) Alternativverhältnis der Tatbestandsvarianten schließen lässt, ist die Norm nach dem Bundesverwaltungsgericht differenzierter zu verstehen. Denn § 26 Nr. 4 BauGB fasst Ausschlussgründe zusammen, die aber weiterhin nach Zielrichtung und Bezugspunkt unterscheidbar sind.

Insbesondere von kommunaler Seite wurde die Entscheidung stark kritisiert. Ein entsprechende Gesetzesentwurf zur Wiederherstellung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten ist bereits auf den Weg gebracht (BT-Drucks. 20/679). Ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber hier tätig wird, bleibt abzuwarten.

Rechtsanwalt Dr. Henrik Kirchhoff und Rechtsanwältin Carlotta Vohl besprechen die Entscheidung im aktuellen Beitrag der IBR 2022, 2669.

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